Andrea Polaschegg

Universitätsprofessorin für neuere deutschsprachige Literatur

„Konkurrenz der Altertümer. Deutschlands Antikentektonik in der Epoche der Historisierung“ (Laufzeit: 2009 – 2012)

SFB 644 Transformationen der Antike (Humboldt-Universität zu Berlin) Teilprojekt B11 | 2009 – 2012

Teilprojektleiterin:

Prof. Dr. Andrea Polaschegg

Wissenschaftliche Mitarbeiter/innen:

Wissenschaftliche Mitarbeiter/innen:
Dr. Michael Weichenhan, Friederike Krippner

Unterprojekt 1: Zeitkonkurrenz. Pluralisierung und Transformation der Altertümer in der Entwicklung der Philologien zwischen 1800 und 1850 (Michael Weichenhan)

Unterprojekt 2:Formkonkurrenz: Konfrontation und Transformation der Altertümer in der deutschen Versdichtung des 19. Jahrhunderts (Andrea Polaschegg)

Unterprojekt 3: Raumkonkurrenz: Konfrontation und Transformation der Altertümer auf der deutschen Dramenbühne des 19. Jahrhunderts (N.N.)

Das Projekt untersucht jenen Pluralisierungsprozess, den das Konzept „Altertum“ um 1800 durchläuft, wobei es sich zu verschiedenen Altertümern vervielfältigt, die zueinander in Konkurrenz um den Status einer kulturgeschichtlich gültigen Bezugsgröße treten. Neben der Ausdifferenzierung des altertumskundlichen Wissens im 19. Jahrhundert werden auf dem Feld der deutschen Literatur die temporalen und spatialen Ordnungen fokussiert, in denen die griechisch-römische Antike mit nordischen und morgenländischen Altertümern korreliert, konfrontiert und dadurch transformiert worden ist.
Dass sich die Antike im Zuge ihres umfassenden Historisierungs- und Pluralisierungsprozesses im 18. Jahrhundert von einer Instanz überzeitlicher Geltung in einen spezifischen Zeit-Raum der Vergangenheit verwandelte, dessen normative Kraft für die Gegenwart eigens restituiert und plausibilisiert werden musste, ist in der Forschung mittlerweile ebenso unumstritten wie die zentrale Bedeutung der Altertumskunde für diese grundlegende Transformation. Außerhalb der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit lag bislang allerdings der Umstand, dass um 1800 das anthropologische Paradigma der Aufklärung einer dezidiert kulturgeschichtlichen Perspektive auf die Antike wich und sich dabei irreversible Differenzen zwischen den Völkern des Altertums auftaten, die nicht mehr in universalmenschlichen Ursprungsfiguren aufgehoben werden konnten. Dadurch aber vervielfältigte sich zugleich das axiologische Konzept „Altertum“, sodass die griechisch-römische Antike im 19. Jahrhundert von nordischen und orientalischen Altertümern umgeben war, die ihr den exklusiven Anspruch auf ästhetische und kulturelle Geltung streitig machten.

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Abb. 1: Harald und Theano. Eine Dichtung in fünf Gesängen von Felix Dahn. Illustriert von Johannes Gehrts (1885)

Friedrich Schlegel etwa betrachtete seine Beschäftigung mit der Sprache und Weisheit der Indier (1808) dezidiert als Beitrag zur Begründung der Altertumskunde, zeitgleich gewann die identifikatorische Rede vom „deutschen Altertum“ an Einfluss, zusammen mit einer wachsenden Prominenz der „morgenländischen Altertümer“ in Wissenschaft und Ästhetik.
Insbesondere in Deutschland als einer Nation ohne Territorialstaat besaß die Suche nach den eigenen Ursprüngen auf dem raumzeitlichen Gebiet der Antike und das Ringen um tragfähige kulturgeschichtliche Genealogien ein hohes Maß auch an politischer Brisanz und wurde mit entsprechendem Nachruck betrieben. So präsentiert sich die vom Teilprojekt untersuchte Epoche zwischen den napoleonischen Eroberungen und der Reichsgründung in Deutschland als diskurshistorisches Feld, auf welchem die historisierten und pluralisierten Altertümer in Ursprungskonkurrenz zueinander traten und sich auf diese Weise das axiologische Konzept ‚Altertum’ neu formierte.
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Abb. 2: Titelblatt zu Friedrich Schlegels Ueber die Sprache und Weisheit der Indier (1808)
Während sich also die kulturhistorische Transformation der Antike um 1800 als Bedingung der Möglichkeit besagter Konkurrenz der Altertümer um den Rang einer historisch relevanten Bezugsgröße erweist, widmet sich das Teilprojekt den Transformationseffekten, die sich im Gegenzug aus der Altertumskonkurrenz für die Antike im Laufe des 19. Jahrhunderts ergeben haben.
Der Fokus der geplanten Forschung liegt dabei auf den spatialen und temporalen Ordnungsmodellen, innerhalb derer die Konkurrenzen und Korrelationen der verschiedenen Altertümer als raum-zeitliche Entitäten prozessiert, kommuniziert und inszeniert worden sind und die dem besagten Transformationsprozess seinen operativen Rahmen gegeben haben. Da sich die Pluralisierung der Altertümer um 1800 maßgeblich über Vermittlung des Mediums Sprache vollzogen hat – dynamisiert durch die Entdeckung der indogermanischen Sprachverwandtschaften, durch den zunehmenden Einfluss von Herders Konzept der „Volkspoesie“ sowie durch die Entwicklung einer auf sprachlichen Figurationen aufruhenden vergleichenden Mythologie –, wird sich die Forschung des Teilprojekts auf die deutsche Philologie- und Literaturgeschichte konzentrieren, um von dort aus in drei Unterprojekten die transformatorischen Auswirkungen der Altertumskonkurrenz im 19. Jahrhundert zu untersuchen.